„Soziale Systeme, die sich im Hinblick auf Liebe strukturieren, stellen sich selbst unter die Forderung kommunikativer Offenheit für nicht im Voraus festgelegte Themen – also unter hohes Risiko.“ Niklas Luhmann: Liebe. Eine Übung, Suhrkamp Frankfurt am Main 2008, S. 16
Bildunterschrift des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt: Leuschner, Wilhelm (1890-1944) / Porträt, wohl mit Tochter Käthe Leuschner verh. Bachmayer (1911-2003), am Neckarufer in Neckarsteinach gegenüber Hotel 'Harfe' auf Bank sitzend, Datierung 1928.
1. Ganzfiguren
Im Vordergrund ein aneinandergerücktes Paar. Sie sitzt links, die Hände in die Taschen des dunklen Wintermantels gesteckt. Die helle Mütze ist tief in die Stirn gezogen, bis knapp über die dunklen Augenbrauen. Wache Augen, deren Farbe auf dem Schwarz-Weiß-Foto nicht zu erkennen ist . Sie lächelt in die Fotokamera. Ihre Beine sind durch eine helle Strumpfhose vor der Kälte geschützt. Der Mann rechts neben ihr legt den Ellenbogen seines rechten Armes so auf die Lehne der Sitzbank, dass er die Frau berührt. Den Hut hat er tief ins Gesicht gezogen, der Schatten der Krempe lässt seine Augen im Verborgenen. Der Mund unter dem dichten, dunklen Schnurrbart ist verschlossen. Hut und Mantel des Mannes sind heller als das Hutband, unter dem offenen Mantel trägt er eine dunkle Anzugjacke oder einen Pullover über dem weißen Hemd mit gestreifter Krawatte.
Gleich links neben dem Paar ist eine Laterne an die Rückenlehne der langen Holzbank montiert, auf der die beiden sitzen. In der Bildmitte Wasser, ein paar flache Kähne an einer Uferböschung vertäut. Sitzen die beiden auf einer Fähre, die gerade angelegt hat? Gut möglich, denn etwa an dieser Stelle am Neckar gibt es zu dem Zeitpunkt, an dem das Foto entsteht, eine Fährverbindung. Am Ufer links im Hintergrund eine Burgruine vor einem Höhenzug. In der Bildmitte ein markantes, zweistöckiges Gebäude, etwas erhöht hinter einer Mauer am Uferweg. Zum Zeitpunkt, als das Foto entsteht, ist Leuschner sozialdemokratischer Innenminister des sogenannten „Volksstaates Hessen“ mit Regierungssitz in Darmstadt. Die Nationalsozialisten jagen ihn knapp fünf Jahre später aus dem Amt, stecken ihn in Gefängnisse und Konzentrationslager. Nach seiner Entlassung beginnt Wilhelm Leuschner Mitte der 1930er Jahre von Berlin aus, ein Widerstandsnetz aus vielen hundert Gewerkschafter*innen sowie Sozialdemokrat*innen zu knüpfen, das weit auch in kleinere Orte in der Provinz hineinreicht. Gemeinsam mit christlichen Gewerkschafter*innen wie Jakob Kaiser, Elfriede Nebgen und Max Habermann sowie weiteren sozialdemokratischen Vertrauten bringt Leuschner dieses Netz in den sogenannten „Goerdeler-Kreis“ und schließlich in die in Bewegung des 20. Juli 1944 ein.
Rund drei Wochen nach dem Attentatsversuch auf Hitler wird Leuschner verhaftet, nachdem er zuvor auch bei Elfriede Nebgen (vergl. Nebgens Kaiser-Biografie) Schutz sucht und bei Elly Deumer sowie ihrem Vater Unterschlupf findet. Das Todesurteil gegen ihn wird am 29.September 1944 vollstreckt. Die am 28. Juli 1900 geborene Elly Deumer überlebt ihren Geliebten "Helm", wie sie Leuschner nennt, viele Jahrzehnte. Sie stirbt 1985 in ihrer Heimatstadt Darmstadt. Käthe Bachmayer-Leuschner, die Frau auf dem Foto neben Leuschner, sucht auch nach dem Kriegsende vor allem über die Leuschner-Mitkonspirateurin Käthe Kern immer wieder den Kontakt zu Deumer - auch diese Geschichte gilt es noch zu erzählen.
Siehe auch:
https://www.fr.de/rhein-main/ns-widerstandskaempfer-frankfurt-mutigen-verschwoerer-12255033.html